Stern

Datum: 36/2006
Fotos: Cyril Masson, Thomas de Monaco

Druckansicht

Stern_Mode-mit-Mehrzweck-1-4c5dd70db6.jpg

Mode mit Mehrzweck

Robust, wetterfest, atmungsaktiv — High-Tech-Fasern fand man bislang vor allem in Outdoor-Bekleidung. Doch nun entdecken immer mehr Modefirmen, dass die Zusatzfunktionen der neuen Materialien auch im Alltag überzeugen

Träger der neuen Jacken von Nike, Rossignol und Quiksilver sind aufgeblasene Typen: Wird ihnen kalt, zücken sie ein Ventil, pusten hinein und plustern sich auf. Der Effekt: Ein Labyrinth aus wurmförmigen Luftkammern wächst auf Brust und Rücken und hält den Körper mollig warm. Ein Knopfdruck, und die Luft ist wieder raus.

Für die amüsante Technikspielerei "Airvantage", die in diesen Jacken steckt, bekam Hersteller Gore 2006 den "Designpreis der Bundesrepublik Deutschland in Gold", eine Auszeichnung, die sonst vornehmlich an schnittige Autos und schicke Möbel geht.

Die Zeiten, in denen High-Tech-Funktionen ausschließlich in Outdoor-Klamotten Verwendung fanden und sich niemand daran störte, dass diese zumeist wie übergestülpte Zelte aussahen, sind vorbei. Immer öfter kommen die neuen schlauen Stoffe und Systeme nun auch bei modischer Alltagsbekleidung zum Einsatz.

In einem insgesamt gesättigten Markt bilden sie einen echten Kaufanreiz, konstatiert Hansjürgen Heinick von der Kölner Unternehmensberatung BBE. "Bei funktioneller Kleidung, die nicht nur praktisch, sondern auch stylish ist und Emotionen weckt, akzeptieren die Leute auch einen höheren Preis", so Heinick.

Bis zu 50 Prozent teurer ist die Mode mit Mehrzweck. Dennoch hat das Geschäft mit dieser Art von Funktionstextilien laut einer Studie der BBE in Deutschland seit 2001 um 14 Prozent zugelegt. In den nächsten Jahren wird mit noch mehr Wachstum in diesem Branchenzweig gerechnet.

Schließlich kämpft man nicht mehr nur zwischen Skilift und schweißtreibender Abfahrt mit ständigem Temperaturwechsel. Auch beim Einkaufen und in vielen klimatisierten Gebäuden weckt das Wechselspiel zwischen Frösteln und Schwitzen das Bedürfnis nach anpassungsfähigen Hüllen.

Viele Hersteller verarbeiten bereits Paraffinkügelchen in ihren Stoffen für Freizeitjacken. Wird dem Träger heiß, nehmen die Mikrokapseln die Wärme auf, verflüssigen sich und kühlen dabei die Haut. Bei Kälte nehmen sie wieder ihre ursprüngliche Form an und geben die gespeicherte Energie als Wärme zurück.
Wurde das Prinzip dieser Kernschmelztechnik ursprünglich nur für Weltraumanzüge entwickelt, steckt es mittlerweile sogar in Polohemden und Unterwäsche, die Fachbezeichnung dafür lautet "Outlast".

Allerdings stößt die überirdische Technik noch an ihre Grenzen: Zwar werde das Schwitzen durch "Outlast" bereits um 33 Prozent reduziert, die Kapseln können die Wärme aber bislang nur begrenzt speichern, zeigen Untersuchungen.

Langlebiger scheint da die Membran "C_change", die ohne Kügelchen auskommt. Wie bei einem Tannenzapfen öffnen sich die Poren der Membran, wenn es warm und feucht wird, und schließen sich bei Kälte. Die ersten Test-Blousons aus dem Chamäleon-Material wurden von der Modemarke Bugatti Ende Juli vorgestellt, 2007 sollen die ersten Modelle in den Handel kommen.

Die als "intelligent" bezeichnete Kleidung will aber nicht nur Klimaanlage spielen. Sie wird inzwischen auch gegen Insekten, trockene Haut und geschwollene Füße eingesetzt. So gibt es Socken, die mit Ginkgo-Extrakt die Durchblutung in den Beinen anregen wollen, Hosen, die pflegendes Vitamin E an die Haut abgeben und Hemden, die mit "Antismell"-Veredlung Geruchsausdünstungen stoppen.

Die Wirkstoffe stecken dabei in mikroskopisch kleinen Kapseln und werden beim Tragen durch Reibung freigesetzt. Die Wirkungsdauer ist bislang allerdings auf wenige Waschzyklen begrenzt. "Sobald alle Kapseln geöffnet und entleert sind, war's das. Eine Wiederbefüllung ist zurzeit noch nicht möglich", sagt Jan Beringer vom Forschungszentrum Hohensteiner Institute, das High-Tech-Stoffe auf ihre Tauglichkeit prüft.

Als weitaus ergiebiger beurteilt Beringer die Möglichkeiten, die sich aus der Nanotechnologie ergeben: "Es wird möglich sein, Textilien in völlig neuem Ausmaß gegen Schmutz zu schützen. Wenn die Oberfläche mit Nanopartikeln versiegelt ist, kann man Ketchup-Flecken im T-Shirt theoretisch mit Rotwein auswaschen", so Beringer.

Ob dieses Prinzip sich im Alltag bewährt, bleibt ebenso abzuwarten wie das der so genannten eBlocker. Dabei handelt es sich um einen silberhaltigen Spezialstoff, den Firmen wie Mephisto oder Rosner in den Innentaschen ihrer Sakkos verarbeiten, um den Träger vor Handystrahlen zu schützen.
Immerhin ein Nebeneffekt überzeugt schon jetzt: Trotz zusätzlicher Funktionen werden die schlauen Stoffe immer leichter. Im Juli ging der "Outdoor Industry Award 2006" an einen Pullover von Haglöfs, der selbst in Herrengröße L weniger wiegt als zwei Tafeln Schokolade.