www.sandrawinkler.de / Die grüne Seele / 2024-03-19 05:51:56
Nach zwei Tagen auf Safari wurde ich langsam ungeduldig. Wir hatten jeder Menge wütend dreinschauender Büffel und elegant schreitender Giraffen beim Fressen zugesehen und an Wasserlöchern Nilpferde beim Auf- und Abtauchen beobachtet. Ein Elefant war sogar so nah an unseren offenen Landrover herangestapft, dass wir Angst um den Spurenleser bekamen, der wie eine Galionsfigur auf einem auf der Motorhaube befestigten Klappstuhl saß.
Am dritten Tag hielten wir für manche Tiere schon gar nicht mehr an. Schließlich standen Wildschweine auch im Garten unserer Lodge in Phinda, und Impala-Antilopen konnte ich morgens beim Zähneputzen beobachten, wie sie aus dem Pool meiner Villa tranken. Denn das Phinda Private Game Reserve in der südafrikanischen Provinz KwaZulu-Natal ist ein Wildgehege mit luxuriösen Lodges ohne Zäune, die frei laufende Menschen von den Tieren trennen. Um nach Einbruch der Dunkelheit sicher ins Bett zu kommen, werden die Besucher von einem Mann mit Gewehr begleitet.
Was ich endlich zu Gesicht bekommen wollte, waren Löwen.
Dann ging alles ganz schnell, so schnell, dass niemand im Jeep richtig verstand, was eigentlich los war. Wir fuhren morgens noch leicht verschlafen durch die Wildnis (unsere Safari startete um sechs Uhr!), als plötzlich zwei Männer in Kaki, der eine weiß und mit Gewehr, der andere schwarz und mit zwei Steinen bewaffnet, auf unseren Jeep zurannten und auf die Motorhaube sprangen. Während der eine seine Steine ins Gestrüpp warf, rief der andere: „This way!“, und wirbelte einen blutigen Zebraschwanz durch die Luft. Was wirkte wie eine Monty-Python-Inszenierung, war ein ausgeklügelter Safari-Einsatz.
Während unser Ranger Hendrik das Gelände abgefahren war, hatten die anderen beiden sich zu Fuß auf die Suche gemacht (die Steine sollten im Notfall übrigens nicht als Waffe, sondern zur Ablenkung dienen). Ein paar Meter von uns entfernt hatten sie ein totes Zebra gefunden, das in der Nacht offensichtlich einem Rudel Löwen unterlegen war. Die Raubkatzen konnten nicht weit sein. Und tatsächlich fanden wir sie hinter dichtem Gestrüpp. Acht vollgefressene Tiere, eine satte, glückliche Familie.
Bei einer Safari reist man immer Bildern hinterher, die man längst im Kopf hat. Zu meinem Bild gehörten auf jeden Fall Löwen. Und Steppe. Und eigentlich auch eine einsame Akazie vor blutroter Sonne und definitiv Herden, die trampelnd Staub aufwirbeln. Dass man Tiere erst mühsam hinter Büschen und Bäumen aufspüren muss, hatte ich nicht erwartet.
„Die meisten Tierdokumentationen werden in Kenia oder in der Serengeti Tansanias aufgenommen“, sagt Hendrik. Die Filmteams drehen gern in kargen Landstrichen, weil sie so morgens schon sehen, welches Tier ihnen sozusagen abends vor die Kamera läuft. Das erspart ihnen Arbeit, sorgt aber bei vielen für ein sehr einseitiges Bild von Afrika. „Viele Besucher, die zum ersten Mal nach KwaZulu-Natal kommen, sind überrascht, wie grün es hier ist.“ In KwaZulu-Natal, einem Gebiet so groß wie Thüringen und Bayern zusammen, fällt mehr Regen als irgendwo sonst in Südafrika. Das klingt für einen Nordeuropäer erst einmal wenig verlockend, KwaZulu-Natal hat es aber den Beinamen „Gartenprovinz“ eingebracht – und die Sonne scheint trotzdem öfter als bei uns.
Doch nicht nur wegen der grünen Landschaft gilt die Region als schönster Teil des Landes, sondern auch wegen ihrer Vielfältigkeit. In nur einem Tag kann man von Durban, der drittgrößten Stadt Südafrikas, die mächtigen Drakensberge, die weißen Strände des Indischen Ozeans, die europäisch anmutenden Kiefernwälder der Midlands und das Großwild im Buschland erreichen. Als wäre man in einem riesigen Freizeitpark unterwegs, fährt man so von Attraktion zu Attraktion.
Waren wir morgens noch Löwen auf der Spur, saßen wir zwei Stunden später bereits am Strand des iSimangaliso Wetland Parks. Der 220 Kilometer lange Küstenstreifen südlich von Mosambik besteht aus vielen kleinen Schutzgebieten, Sümpfen im Norden und Dornensavannen im Westen. Das Zentrum ist der St.-Lucia-See, der durch riesige Sanddünen vom Indischen Ozean getrennt wird. Das einzige Städtchen im Park heißt St. Lucia und besteht aus nicht viel mehr als Souvenirläden, Pensionen, einer Wimpys-Burger-Filiale und unzähligen Agenturen, die sich der Freizeitgestaltung widmen: Bootstouren zu Delfinen, Buckelwalen, Walhaien; Mitternachtsausflüge zu Meeresschildkröten, die ihre Eier in den Sand von St. Lucia legen, oder Schnorcheltrips zum Riff am Cape Vidal. Für alle, die nicht nur gern Tiere sehen, sondern diese auch bevorzugt unter sich, gibt es Reitsafaris zwischen Nashörnern, Leoparden, Büffeln.
Von Juli bis September kommt fast ganz Südafrika nach St. Lucia, um die Angel auszuwerfen. Wer sich allerdings zu nah an den See wagt, kann schnell zum Betthupferl eines der mehr als 2 000 Krokodile werden. Vorausgesetzt, dass er nicht vorher von einem der gut 1 300 Nilpferde erwischt wird. Umso seltsamer wirkt es, wenn Angler nur wenige Meter von in der Sonne dösenden Krokodilen entfernt gelassen die Leine ins Wasser des Strandsees halten.
„Nur Zulus wird man hier nicht beim Angeln sehen“, sagt Simkhile, der Touristen durch den Park führt und selbst zum Volk der Zulus gehört. „Für viele wäre es eine Demütigung, Fisch zu essen. Das macht nur, wer sich keine Kuh leisten kann.“ KwaZulu-Natal ist Zulu-Land. Hier leben noch immer die meisten Menschen des Stammes, der im 19. Jahrhundert unter dem Zulukönig Shaka zur mächtigsten Armee Südafrikas wurde. Leider kommen Touristen meist nur mit ihnen in Kontakt, wenn diese in einer der Lodges angestellt sind oder bei einer Show für Besucher tanzen. Den nachhaltigsten Einblick in ihren Alltag erlebt man während der Autofahrten durch die Provinz: Die Zulus, deren traditionelle Rundhütten wie bunte Farbkleckse über die Landschaft verteilt sind, nutzen die Highways überwiegend zu Fuß. Dabei tragen die Frauen von einer Wanne voller Wasserflaschen bis hin zu einem Stapel Handtücher alles auf dem Kopf. Die Kinder laufen in ihren Uniformen zur Schule, Männer spazieren am Straßenrand – ständig hat man das Gefühl, in eine Völkerwanderung geraten zu sein.
Von ihrer Zeit als Kriegervolk ist den Zulus nicht viel geblieben. Mehr als hundert Jahre lang ghettoisierten die Engländer, die nach den Buren das Land eroberten, die Ureinwohner in Homelands. Viele Zulus sind heute arbeitslos, leben in Townships. Der Anteil an HIV-Infizierten liegt weit über dem ohnehin erschreckend hohen Landesdurchschnitt. Ihren Stolz haben die Zulus trotzdem nicht verloren. Wen man auch fragt, den Kellner im Hotel oder den Spurensucher bei der Safari: Alle sind stolz, zum Volk der Zulus zu gehören. Traditionen werden selbstverständlich gepflegt. So erzählt eine Kellnerin in Durban, sie sei noch nicht verheiratet. Ihr Freund habe das Lobolo noch nicht zusammen. So heißt die Mitgift, die jeder Heiratswillige zahlen muss. Elf Kühe, sonst keine Ehe. Und der stellvertretende Manager von Phinda trägt die Zulutracht, ein paar Felle und Federn, wie einen Sonntagsanzug.
Auf der Fahrt in die Drakensberge im Südwesten von KwaZulu-Natal passieren wir Schilder, die den Weg zu Schlachtfeldern weisen, auf denen die Zulus gegen Buren und Briten kämpften. Die Drakensberge sind mit fast 3 500 Metern das höchste Gebirge im südlichen Afrika. Ihren Namen bekamen sie von den Buren, weil sie die Felsformationen an den Rücken eines Drachen erinnerten. Die Zulus nannten sie dagegen „Wand der aufgestellten Speere“. Langsam rumpelt der Jeep die schlecht präparierte Piste des Sani-Passes hinauf, eine sich im Zickzack immer höher windende Gebirgsstraße, die von KwaZulu-Natal nach Lesotho führt. Die Entschädigung für die Strapazen sind atemberaubende Blicke auf saftgrüne Berge, die sich wie ein ungemachtes Bett vor einem ausbreiten.
Zurück in KwaZulu-Natal, übernachten wir in der Sani Valley Lodge. Das abseits gelegene Anwesen gehört John Hewlett, einem weißen südafrikanischen Zuckermagnaten. Früher nutzte Hewlett das Gelände als Rinderfarm. Dann flutete er die Weiden und setzte in dem so entstandenen See Forellen aus. Vor allem Angler mieten die roten Blockhütten. Gelegentlich beansprucht Hewlett die ganze Lodge für sich: Dann findet irgendwo im Nirgendwo von Afrika ein Bridgeturnier statt.
Am nächsten Morgen weckt mich ein Froschkonzert früh genug, um vor dem Frühstück mit dem Kanu auf den Forellensee hinauszufahren. Kiefernbäume spiegeln sich im Wasser, im Hintergrund erheben sich die ersten Ausläufer des mächtigen Gebirges. Auf dem Steg setzt ein Graureiher zum nächsten Forellensuchflug an, drei Zebras grasen auf einer Anhöhe im satten Grün. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen: Das hier, das kann unmöglich Afrika sein.
© Sandra Winkler
Vanity Fair 18/08
Fotos: Sandra Winkler, Anders Overgaard